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Pressemitteilung 02/20 vom 07.02.2020

Landgericht München I erachtet bestimmte Form des Masseninkasso im Rahmen eines Schadensersatzprozesses zum sogenannten Lkw-Kartell wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz für unrechtmäßig

Die 37. Zivilkammer des Landgerichts München I hat mit heute verkündetem Urteil die Klage eines auf die IT-basierte Durchsetzung von Massenschadensfällen spezialisierten Rechtsdienstleistungsunternehmens abgewiesen.
Die Klägerin hatte von den Beklagten aus abgetretenem Recht Schadensersatz in Höhe von mindestens 603.125.156 EUR zzgl. Zinsen aufgrund von ihr behaupteter kartellbedingt überhöhter Preise für mittelschwere (zwischen 6 und 16 Tonnen) und schwere (über 16 Tonnen) Lkw verlangt, die nach dem Klägervortrag über 3.000 Kunden der Klägerin in einer Vielzahl europäischer Länder jedenfalls zwischen 17.1.1997 und 31.12.2016 erworben haben sollen. Die Beklagten sind große europäische Lkw-Hersteller bzw. deren deutsche Tochtergesellschaften.
Die Kammer hält die Abtretungen wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) für nichtig. Wie der Bundesgerichtshof Ende November 2019 in seiner Entscheidung zu www.wenigermiete.de bzw. lexfox hervorgehoben hat, hat die Kammer dabei eine am Schutzzweck des RDG ausgerichtete Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen vorgenommen. Das RDG dient dem Schutz der Rechtssuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen.
Die Nichtigkeit ergibt sich nach Überzeugung der Kammer zum einen daraus, dass die Rechtsdienstleistungen der Klägerin von vorneherein nicht auf eine außergerichtliche, sondern ausschließlich auf eine gerichtliche Tätigkeit gerichtet sind. Sie sind daher kein Inkasso im Sinne des RDG. Die Klägerin überschreitet damit ihre Inkassoerlaubnis. Dies folgert die Kammer aus einer Gesamtschau der vertraglichen Regeln, des Auftretens der Klagepartei gegenüber ihren Kunden und der tatsächlichen Durchführung. So sei etwa „das Angebot nach seinem Gesamteindruck auf die Beteiligung an einer Sammelklage gerichtet“. Auch aus dem Internetauftritt der Klägerin folgt, dass die Vertragspflichten der Klagepartei von vorneherein ausschließlich auf die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche gerichtet sind. So meldeten sich die Kunden der Klägerin zur Berücksichtigung ihrer Fahrzeugerwerbe in einer Klage an.
Zum anderen verstößt die Rechtsdienstleistung der Klägerin deshalb gegen das RDG, weil die Erfüllung der Pflichten gegenüber den Kunden durch andere Leistungspflichten der Klagepartei unmittelbar beeinflusst und gefährdet wird.
Eine wechselseitige Beeinflussung und Interessengefährdung ergibt sich zum einen im Verhältnis der Klägerin zu ihren jeweils einzelnen Kunden. Die Klägerin hat eine Vielzahl einzelner Rechtsverfolgungsverträge geschlossen, in denen sie sich u.a. zur Bündelung und gemeinsamen Rechtsdurchsetzung verpflichtet hat. „Durch die Bündelung der Ansprüche partizipieren die einzelnen […] [Kunden] – insbesondere diejenigen, deren Erfolgsaussichten grundsätzlich positiv erscheinen – am Risiko, das mit der Erhebung der weniger aussichtsreichen Klagen verbunden ist“, so die Kammer. Eine Beeinträchtigung der Einzelinteressen kann sich insbesondere bei einem etwaigen Vergleich, dem die Kunden der Klägerin nicht zustimmen müssen, auswirken: Die Auszahlung der Vergleichssumme an die einzelnen Kunden erfolgt nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin quotal und unabhängig von den konkreten Erfolgsaussichten. Die Kammer: „Da regelmäßig die Erfolgsaussichten einer Klage […] ein wesentliches Kriterium für die Verhandlungen mit den Beklagten sind, wäre eine Minderung der Vergleichssumme durch wenig aussichtsreiche Klagen eine konkrete Gefahr für diejenigen, deren Ansprüche bessere Erfolgschancen haben.“
Unmittelbarer Einfluss auf die Leistungserbringung und eine Gefährdung ergeben sich auch aus der Prozessfinanzierung. Die Klägerin hat mit einer im Ausland ansässigen Gesellschaft einen Prozessfinanzierungsvertrag abgeschlossen. Darin ist etwa geregelt, dass der Prozessfinanzierer einen bestimmten Anteil an der Erfolgsprovision der Klägerin (letztere beträgt grundsätzlich 33 % zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer der tatsächlich auf die möglichen Kartellschadensersatzansprüche empfangenen Leistungen) erhält. Da die Klägerin nach ihrem Vortrag aufgrund der Prozessfinanzierungsvereinbarung von Kosten des Verfahrens vollständig freigestellt ist, könnten ihr kostenauslösende prozessuale Schritte weitgehend egal sein. An dieser Stelle besteht jedoch die Gefahr, dass die Zweckmäßigkeitserwägungen des Prozessfinanzierers, an den die Klägerin regelmäßig berichten muss, an die Stelle eigener Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen der Klägerin treten. Da es sich bei dem Prozessfinanzierer um ein ausländisches Unternehmen mit einer börsennotierten Muttergesellschaft handelt, das unter Beobachtung von Analysten und Presse steht, können hier andere Kriterien maßgeblich sein, als bei einem eigenfinanzierten Prozess. Aus der Abhängigkeit der Klägerin von der Prozessfinanzierung folgt die konkrete Gefahr des Einflusses sachfremder Entscheidungskriterien auf die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung, die den Interessen der Kunden der Klägerin zuwiderläuft. Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die Vereinbarung eines Erfolgshonorars ein beträchtliches Eigeninteresse des Prozessfinanzierers an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche der Zedenten begründet. Dies hindert in vorliegendem Fall die Annahme einer Interessenkollision jedoch nicht.
Auch die Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des Schutzzweckes des Gesetzes und der grundrechtlich geschützten Berufsfreiheit der Klägerin sowie der Eigentumsgarantie der Zedenten führt zu einer Bewertung der Dienstleistung als verbotene Rechtsdienstdienstleistung.
Das Urteil (Az. 37 O 18934/17) ist noch nicht rechtskräftig.


Verfasser der Pressemitteilung:
Richter am Landgericht München I  Benjamin Kuttenkeuler - Pressesprecher -