Pressemitteilung 05 vom 07.02.2023
"Deutsche Umwelthilfe"
Das Landgericht München I hat heute eine Klage gegen einen Münchner Automobilhersteller abgewiesen, wonach dieser verpflichtet werden sollte, den Vertrieb von PKW mit Verbrennungsmotoren ab dem 31. Oktober 2030 zu unterlassen, soweit nicht sichergestellt ist, dass durch Produktion und Nutzung dieser PKW keinerlei Anstieg von Treib-hausgasen in der Atmosphäre zu erwarten ist. Für den Zeitraum bis zum 31. Oktober 2030 sollte der Vertrieb von Personenkraftwagen beschränkt werden anhand eines zulässigen Höchstmaßes an Treibhausgasemissionen aller verkauften PKW (Az. 3 O 12581/21).
Die Kläger sind Geschäftsführer bzw. stellvertretende Geschäftsführer des Deutschen Umwelthilfe e.V.. Sie machen mit der Klage geltend, der PKW-Vertrieb des beklagten Automobil-herstellers führe zu Treibhausgasemissionen, die zu zwingenden rechtswidrigen Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger führten. Produktion und Vertrieb der PKW seien daher, zeitlich gestaffelt, auf ein Höchstmaß an Treibhausgasemissionen zu begrenzen. Ein darüber hinaus gehender weiterer Vertrieb von PKW durch das beklagte Automobilunternehmen sei zu untersagen.
Der beklagte Automobilhersteller ist der Auffassung, der von den Klägern aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Anspruch scheitere schon daran, dass die Begrenzung von Fahrzeugemissionen auf europarechtlicher Ebene harmonisiert sei. Die europäischen Regelungen, die der beklagte Automobilhersteller umfassend befolge, gingen dem hier geltend gemachten Unterlassungsanspruch vor. Jedenfalls sei auch der Vortrag der Kläger zu den zukünftigen Auswirkungen der Treibhaus-gasemissionen auf das soziale Leben und den damit einhergehenden zu befürchtenden Ein-schränkungen zu abstrakt, um darauf Unterlassungsansprüche zu stützen. Schließlich ergebe sich im Rahmen einer Gesamtabwägung mit den grundrechtlich verbürgten Berufs- und Eigentumsfreiheiten des beklagten Automobilherstellers, dass die beantragte Vertriebsunterlassung nicht zu begründen sei.
Das Landgericht hat entschieden, dass der von den Klägern geltend gemachte Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht von vorneherein ausgeschlossen ist. Derzeit drohe jedoch noch kein rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nach jetziger Abwägung aller Umstände seien die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung deshalb unbegründet.
Zu berücksichtigen sei bei der gebotenen Interessenwägung, dass sowohl der nationale als auch der europäische Gesetzgeber eine Vielzahl von Regelungen erlassen habe, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Diesen Regelungen lägen umfassende Abwägungen der Interessen und Belange aller Beteiligten zu Grunde. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, mit Gesetzeskraft entschieden, es könne aktuell nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber seinen durch die Grundrechte vorgegebenen Spielraum insofern überschreite.
Ausgehend auch von dieser aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seien keine Besonderheiten ersichtlich, die gegenwärtig zu einer abweichenden zivilrechtlichen Bewertung führten. Über die öffentlich-rechtlichen Pflichten hinausgehende zivilrechtliche Pflich-ten der Beklagten, etwa wegen Fehlens einer gesetzlichen Regelung, bestehen nach Auffassung der Kammer jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Regierung wie Gesetzgeber werden zudem stets die Effektivität ihrer Maßnahmen zur Sicherung der Klimaschutzziele zu überprü-fen haben, wobei gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen sein werden.
Im Ergebnis sei daher der von den Klägern geltend gemachte, auf ihr intertemporales Allgemeines Persönlichkeitsrecht gestützter Abwehranspruch derzeit nicht begründet.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Zum Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht erklärte mit Beschluss vom 24.3.2021, Az. 1 BvR 22656/18, die Regelungen in § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Anlage 2 KSG für mit dem Grundgesetz unvereinbar und gab dem Gesetz-geber auf, die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume nach 2030 bis zum 31.12.2022 unter Beachtung der Maßgaben dieses Beschlusses näher zu regeln.Das Bundesverfassungsgericht führte insoweit unter anderem Folgendes aus:
„Jeder konkrete Verbrauch verbleibender CO2-Mengen verringert das Restbudget und die Möglichkeiten weiteren CO2–relevanten Freiheitsgebrauchs und verkürzt zugleich die Zeit für die Initiierung und Realisie-rung soziotechnischer Transformation.“ „Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Bf. hier vor einer einseitigen Verlage-rung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.“ „Die Grundrechte verpflichten den Gesetzgeber, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich gebotenen notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend so zu gestalten, dass die damit verbundenen Freiheitseinbußen trotz steigender Klimaschutzanforderungen weiterhin zumutbar ausfallen und die Reduktionslasten über die Zeit und zwischen den Generationen nicht einseitig zulasten der Zukunft verteilt wird.“ (Az 192)„…Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll.“ „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz.“ „Wenn Regierung und Gesetzgeber danach davon ausgehen, dass bei einer Begrenzung des Anstiegs der Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C (§ 1 Satz 3 KSG) die Folgen des Kli-mawandels in Deutschland durch Anpassungsmaßnahmen so weit gelindert werden könnten, dass das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutzniveau gewahrt wird, überschreiten sie jedenfalls gegenwärtig nicht ihren durch die grundrechtliche Schutzpflicht belassenen Entscheidungsspielraum.“
In der geänderten Fassung vom 18.8.2021 sieht das Bundesklimaschutzgesetz (KSG) nunmehr in § 3 folgen-de Regelung vor:
„(1) Die Treibhausemissionen werden im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise wie folgt gemindert: 1. bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 %,2. bis zum Jahr 2040 um mindestens 88 %. (2) Bis zum Jahr 2045 werden die Treibhausgasemissionen so weit gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Nach dem Jahr 2050 sollen negative Treibhausemissionen erreicht werden.“
Verfasserin der Pressemitteilung:Vorsitzende Richterin am Landgericht München I Cornelia Kallert – Pressesprecherin -