Pressemitteilung 21 vom 13.04.2022
Strafverfahren gegen Ilnur N. wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit ("Ariane")
Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat heute den Angeklagten Ilnur N. (30) wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Senat hat die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 500 € angeordnet. Der gegen den Angeklagten bestehende Haftbefehl wurde aufgehoben.
Nach den Feststellungen des Senats schloss der Angeklagte, der russischer Staatsangehöriger ist, im Jahr 2014 in Russland im Bereich Materialforschung einen Bachelorstudiengang erfolgreich ab. Anschließend setzte er sein Studium in Augsburg fort und erwarb im Jahr 2017 einen Master. Ab dem Jahr 2018 begann er eine Doktorarbeit. Zudem war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Augsburg angestellt.
Zur Überzeugung des Senats nahm ein als Vizekonsul akkreditierter Mitarbeiter des Generalkonsulats in München, der für den zivilen Auslandsgeheimdienst der Russischen Föderation (SWR) arbeitet, im Herbst 2019 zu dem Angeklagten Kontakt auf, um über diesen an Informationen zu Forschungsprojekten aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrttechnologie zu gelangen. Gegenüber dem Angeklagten gab der Vizekonsul nach den Feststellungen bei einem ersten Treffen vor, dass er für eine russische Bank arbeitet und Informationen für private Investments zu benötigt.
Im Zeitraum zwischen dem 27.11.2019 und dem 18.06.2021 traf sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Senats bei 11 Gelegenheiten mit dem Vizekonsul an verschiedenen Orten in der Innenstadt von Augsburg. Bei mehreren Treffen übergab er Informationen zu Forschungsergebnissen, die er zuvor aus allgemein zugänglichen Quellen zusammengetragen hatte. Die Forschungsergebnisse betrafen unter anderem das Projekt „Ariane next“. Im Gegenzug erhielt der Angeklagte zur Überzeugung des Senats Zahlungen von insgesamt 2100 €.
Zugunsten des Angeklagten ging der Senat davon aus, dass der Angeklagte erstmalig am 18.02.2021 ernsthaft in Erwägung zog, dass die vom Vizekonsul angeforderten Informationen für einen ausländischen Geheimdienst bestimmt waren. Dennoch übergab der Angeklagte nach den Feststellungen an den ehemaligen Vizekonsul am 23.04.2021 weiteres Material auf einem USB-Stick und erhielt hierfür 500 €.
Bei der Strafzumessung würdigte das Gericht insbesondere, dass der nicht vorbestrafte Angeklagte zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit den Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet, den äußeren Sachverhalt vollumfänglich eingeräumt und Aufklärungshilfe geleistet hat. Strafmildernd berücksichtigte der Senat, dass der Angeklagte nicht sicher wusste, dass der Vizekonsul für einen russischen Geheimdienst arbeitet, sondern dies nur ernsthaft für möglich hielt. Zugunsten des Angeklagten wirkte sich zudem aus, dass die weitergegebenen Forschungsergebnisse aus allgemein zugänglichen Quellen stammten und dass für die Bundesrepublik Deutschland und die dort ansässigen Forschungseinrichtungen kein erkennbarer Schaden eingetreten ist.
Strafmildernd berücksichtigte der Senat schließlich, dass der Angeklagte nach Entdecken der Tat seine Arbeitsstelle verloren hat. Er wird nach Einschätzung des Gerichts nicht ohne Weiteres sein Promotionsprojekt abschließen können.
Zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte der Senat insbesondere den Umstand, dass er bei der Beschaffung des sehr umfangreichen Materials die Infrastruktur der Universität Augsburg ausgenutzt hat.
Soweit der Senat die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 500 € angeordnet hat, handelt es sich um den Agentenlohn, den der Angeklagte nach den Feststellungen am 23.04.2021 erhalten hat.
Der Senat hat die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, da nicht zu erwarten ist, dass der Angeklagte erneut straffällig wird. Die Bewährungszeit wurde auf 2 Jahre festgesetzt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt steht das Rechtsmittel der Revision zu, das binnen einer Woche von heute an eingelegt werden müsste.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Gliwitzky
Richter am Oberlandesgericht
Leiter der Justizpressestelle bei dem Oberlandesgericht München