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Oberlandesgericht München

Oberlandesgericht München

Pressemitteilung 40 vom 29.06.2023

Strafverfahren gegen Dr. K. u.a. wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung u.a. („Sterilisation“)

Die 20. Große Strafkammer des Landgerichts München I hat heute den Angeklagten Dr. K, einen Chirurgen, wegen schwerer Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung sowie versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die weiteren Angeklagten E und H wurden wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Nach den Feststellungen des Gerichts hatten die Angeklagten E und H beschlossen, ihren erwachsenen Sohn, für den sie als Betreuer eingesetzt waren, sterilisieren zu lassen. Die erforderliche Genehmigung durch das Betreuungsgericht sei dabei nicht eingeholt worden. Bei der Durchführung der Operation durch den Angeklagten Dr. K sei es dann zu einer dramatischen Verwechslung gekommen: Die Vasektomie sei am falschen Patienten durchgeführt worden. Anschließend sei dann der Sohn der Angeklagten E und H in einer weiteren vom Angeklagten Dr. K durchgeführten Operation auch noch sterilisiert worden.

Der geschädigte Sohn der Angeklagten E und H habe keine Einwilligung in die Behandlung erteilt. Die Eltern seien zwar gesetzliche Betreuer gewesen, aber dies gestatte ihnen die Einwilligung in eine Sterilisation gerade nicht, hob der Vorsitzende hervor. Auch hätten die Voraussetzungen für eine betreuungsrechtliche Genehmigung gar nicht vorgelegen.

Die Angeklagten hätten den Sachverhalt vollumfänglich eingeräumt.

Das Gericht ordnete die zweite Tat als schwere Körperverletzung und als Anstiftung dazu ein. Da bei dem zweiten Geschädigten die Fortpflanzungsfähigkeit wieder hergestellt werden konnte, liege insoweit lediglich eine versuchte schwere Körperverletzung und eine vorsätzliche Körperverletzung vor. Die Angeklagten hätten sich alle in einem Irrtum über die rechtliche Zulässigkeit der Sterilisation befunden. Da dieser sog. Verbotsirrtum aber vermeidbar gewesen sei, wirke dies nicht entschuldigend, sondern lediglich strafmildernd. Alle Angeklagten hätten sich angesichts der Tragweite der Entscheidung über eine Sterilisation ggfs. auch rechtlichen Rat einholen müssen. Im Fall der Verwechslung ging das Gericht von einer vorsätzlichen Körperverletzung und versuchten schweren Körperverletzung des Arztes Dr. K aus, da die Vasektomie glücklicherweise habe rückgängig gemacht werden können. Die angeklagten Eltern treffe insoweit keine strafrechtliche Verantwortung.

Zugunsten der Angeklagten berücksichtigte die Kammer unter Vorsitz von Matthias Braumandl die Geständnisse der Angeklagten und für den behandelnden Arzt den mit dem Opfer der Verwechslung durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleich. Eine kriminelle Energie hätten die Angeklagten nicht aufgewiesen.

Der verurteilte Arzt wurde zudem angewiesen, eine Fortbildung zum Thema „Ärztliche Aufklärungspflicht und Einwilligung“ zu besuchen; ferner wurde ihm auferlegt, eine Summe von 10.000 € an die Aktion Mensch e.V. zu zahlen. Den angeklagten Eltern wurde auferlegt, an einer Fortbildung zum Thema „Rechte und Pflichten von ehrenamtlichen Betreuern“ teilzunehmen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft München I steht das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, das binnen einer Woche ab heute eingelegt werden müsste.

 

Dr. Laurent Lafleur
Leiter der Pressestelle für Strafsachen
Richter am Oberlandesgericht