Pressemitteilung 55 vom 09.07.2018
Antipegida Sitzblockade
Sich zu 20 Personen gemeinsam untergehakt einem Pegidademonstrationszug in den Weg zu setzen führt hier zu einer Geldstrafe
Am 04.05.2018 verurteilte die zuständige Strafrichterin einen 24jährigen Münchner Studenten im Masterstudiengang VWL wegen Nötigung und einem Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Störungsverbot zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
Am 27.04.2015 beim dritten oder vierten einer Serie von genehmigten Montags-Pegidademonstrationszügen durch die Münchner Innenstadt, bei dem etwa 400 Polizisten knapp 100 Demonstranten und mindestens 200 Gegendemonstranten voneinander getrennt hielten, liefen 20 junge Leute trotz der Absperrgitter auf Höhe Karlstraße 33, um sich untereinander untergehakt auf die Fahrbahnbreite dem Demonstrationszug in den Weg zu setzen.
Während der Verurteilte bei einem ersten Verhandlungsversuch im Oktober 2016 - der aufgrund verhinderter Zeugen und anstehendem Richterwechsel ergebnislos beendet werden musste - noch über seinen Verteidiger eingeräumt hatte, sich als Gegendemonstrant auf den Boden vor den Pegidademonstrationszug gesetzt zu haben, um ein Zeichen zu setzen, dass deren Aufmarsch nicht einfach hingenommen würde, aber im Bewusstsein gehandelt haben wollte, den Zug damit nicht stoppen zu können, machte er in der nunmehr zweiten Verhandlung gar keine Angaben zur Sache mehr.
Die einvernommenen Polizeibeamten hatten angegeben, dass den plötzlich aus einem Hinterhof auf die Fahrbahn gelaufenen jungen Leuten dreimal die Gelegenheit gegeben worden wäre, selbst einen Versammlungsleiter ihrer Gegendemonstration zu benennen. Nachdem dieser Aufforderung nicht entsprochen worden sei, habe der Einsatzleiter die Auflösung dieser ungenehmigten Gegendemonstration angeordnet und den damals noch „Bagida“-Demonstrationszug bewusst außerhalb des Sichtfeldes des Hindernisses um 19.49 h bis zur Räumung des Zugweges um ca. 20.09 h stoppen lassen.
Der Bagidazug hätte allenfalls im Gänsemarsch vorbeigeführt werden können, was aber angesichts der dort angebrachten hüfthohen Metallpfosten, ca. 30-50 cm hoher Baumpodeste und der dort geparkten PKWs eine erhebliche Gefährdung bedeutet hätte. Auch hätte jeder dann unumgängliche direkte Kontakt zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten die Gefahr von Körperverletzungshandlungen und anderen Delikten sowie von weiteren Blockaden begründet. Eine spontane Umleitung über eine von der Polizei im Vorhinein unaufgeklärte und im Verlauf nicht schon von Polizeikräften gesicherte Alternativstrecke bei Umsetzung der Sperrgitter sei ausgeschlossen gewesen.
Man habe die Mitglieder der Gruppe voneinander mit Gewalt lösen und einzeln von der Fahrbahn tragen müssen. Keiner habe getreten oder geschlagen. Gleichwohl habe man erhebliche Kraft aufwenden müssen.
Die zuständige Strafrichterin am Amtsgericht München hielt die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen (ein ganzes Monatseinkommen) als geboten.
„Die Teilnahme des Angeklagten an der Blockade ließ für die eingesetzten Polizeibeamten aufgrund der dem Angeklagten bekannten Polizeistrategie keine weitere Möglichkeit, als gegenüber dem Bagidazug und deren Teilnehmer unmittelbaren Zwang auszuüben und stellt damit eine Gewaltausübung im Sinne des § 240 StGB dar. (…) Den Teilnehmern der Bagidademonstration - zumindest die sich an der Spitze befanden - wurde erklärt, dass ein Weitergehen nunmehr nicht mehr möglich war. Daher stellten die eingesetzten Polizeikräfte ein unüberwindbares psychisches Hindernis dar, dass auch als physische Barriere zu verstanden gewesen ist. Die Polizeibeamten hatten keine andere Möglichkeit, als ihr Ermessen hinsichtlich der widerstreitenden Güter der Gefahrenabwehr in dieser Form auszuüben, da ein Ausweichen weder um die Sitzblockade noch auf einer anderen Streckenführung möglich gewesen wäre. Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich, da die Teilnahme an der Sitzblockade gerade darauf gerichtet war, einerseits die Versammlung als solche zu stören, andererseits auch eine erhebliche Verzögerung der Versammlung herbeizuführen durch die Blockade, wobei die Polizeieinsatzkräfte als unmittelbares Werkzeug eingesetzt wurden. (…). Ihm musste (…) bewusst sein, dass bei gleichem Verhalten von 20 Personen die Blockadeauflösung nicht nur eine kurze Zeit in Anspruch nehmen würde.“
Das Gericht wertete zugunsten des Verurteilten seine bisherige Straffreiheit, die lange Verfahrensdauer, die er nicht zu vertreten hatte sowie den Umstand, dass es sich bei ihm um einen noch jungen Mann handele.
Urteil des Amtsgerichts München vom 04.05.2018, Aktenzeichen 841 Cs 113 Js 238030/15
Das Urteil ist nach Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.
Klaus-Peter Jüngst
N.B.: Im Verfahren 1013 Ds 113 Js 207163/15 wurden zwei weitere Teilnehmer durch Urteil des Amtsgerichts München vom 8.5.2018 freigesprochen. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft München I Berufung ein.