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Bayerisches Oberstes Landesgericht

Pressemitteilung 3/2020 vom 04.11.2020

Urteil zur Strafbarkeit des Auftauens von kryokonservierten 2-PN-Zellen zum Zweck der Herbeiführung der Schwangerschaft einer Frau, von der die Eizelle nicht stammt

Urteil vom 04.11.2020, Az. 206 StRR 1461/19

Der 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) hat heute entschieden, wann es strafbar ist, eine Eizelle, die einer ungewollt kinderlosen Frau zum Zweck einer künstlichen Befruchtung entnommen, mit einer Samenzelle zusammengebracht und zunächst zu dem Zweck, eine Schwangerschaft dieser Frau herbeizuführen, kryokonserviert (tiefgefroren) wurde, später zu dem Zweck aufzutauen und weiter zu verwenden, die Schwangerschaft einer anderen Frau herbeizuführen. Befindet sich die Eizelle noch im 2-PN-Stadium ist diese Handlung ein von § 1 Abs. 1 Nr. 2 Embryonenschutzgesetz (ESchG) mit Strafe bedrohtes Unternehmen der Befruchtung einer Eizelle zum Zweck der Herbeiführung der Schwangerschaft einer Frau, von der die Eizelle nicht stammt. Straffrei ist es, in gleicher Weise mit kryokonservierten Zellen zu verfahren, die bereits zum Embryo im Sinne der Begriffsbestimmung des § 8 Abs. 1 ESchG entwickelt waren.

Sachverhalt:

Bei den Angeklagten Dr. N. und Dr. Ed. handelt es sich um Ärzte, die im Bereich der Fortpflanzungsmedizin tätig sind. Die Anklage legt Dr. N. zur Last, in den Jahren 2014 bis 2015 in 21 Fällen befruchtete Eizellen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf Frauen übertragen zu haben, von denen diese Eizellen nicht stammten; Dr. Ed. soll in 12 Fällen im gleichen Zeitraum ebenso verfahren sein.

Die Eizellen sollen von ungewollt kinderlosen Frauen stammen, die von den Angeklagten mit dem Ziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft medizinisch behandelt worden seien. Den Frauen seien Eizellen entnommen und mit Samenzellen ihres Partners zusammengebracht worden sein. Anschließend seien die Zellen zur späteren Verwendung kryokonserviert (tiefgefroren) worden. Nachdem sie dann nicht mehr zur Verwendung bei der Frau, von der die Eizellen stammten, benötigt worden seien, seien sie, mit Einverständnis des Spenderpaares, aufgetaut und anderen Frauen zur Herbeiführung deren Schwangerschaft übertragen worden.

Alle Angeklagten, neben den Angeklagten Dr. N. und Dr. Ed. auch der Angeklagte E., seien ferner Mitglieder des Vereins „Netzwerk Embryonenspende“. Durch ihre Tätigkeiten dort hätten sie dazu beigetragen, dass Spenderpaare die Freigabe ihrer Zellen zum Zweck der Übertragung auf andere Frauen erklärt hätten und eine Vermittlung an die Empfängerinnen stattfand.

Dem Angeklagten Dr. N. wird daher missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG in 21 Fällen, der Angeklagten Dr. Ed. in 12 Fällen, und beiden jeweils Beihilfe zu den Taten des anderen, dem Angeklagten E. wird Beihilfe zu allen 33 Fällen zur Last gelegt.

Verfahrensverlauf:

Die Angeklagten waren mit Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 20. März 2018 freigesprochen worden. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hiergegen wurde mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. Dezember 2018 als unbegründet verworfen. Zur Begründung führt das Landgericht aus, in einigen der Fälle seien die verwendeten Zellen bereits zu Embryonen entwickelt gewesen, deren Transfer auf fremde Frauen nicht strafbar sei. In weiteren Fällen könne dies nicht ausgeschlossen werden. Zudem ergebe eine „moderne Auslegung“ des ESchG, dass das Handeln auch dann nicht strafbar sei, wenn es sich bei den aufgetauten Zellen noch nicht um Embryonen, sondern um sog. 2-PN-Zellen gehandelt hätte, bei denen sich in der Eizelle bereits zwei Vorkerne gebildet hätten, die aber noch nicht verschmolzen gewesen seien. Außerdem blieben die Angeklagten auch deshalb straflos, weil sie ohne Schuld gehandelt hätten. Sie hätten sich auf den eingeholten Rechtsrat einer renommierten Rechtsprofessorin verlassen, die die Straflosigkeit ihres Tuns bescheinigt hätte.

Gegen das Urteil der Berufungskammer hat die Staatsanwaltschaft Revision zum BayObLG eingelegt.

Entscheidung des 6. Strafsenats des BayObLG:

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

Der Revisionssenat hat entschieden, dass es nach geltendem Recht strafbar ist, Eizellen einer Frau, in die eine männliche Samenzelle eingedrungen ist bzw. dorthin eingebracht wurde, die aber noch nicht zu Embryonen fortentwickelt sind, zum Zweck der Herbeiführung der Schwangerschaft einer Frau zu verwenden, von der die Eizelle nicht stammt. Dies gilt auch, soweit es sich um zunächst rechtmäßig im Rahmen einer Fruchtbarkeitsbehandlung entstandene, kryokonservierte Zellen handelt, die wieder aufgetaut werden, um nunmehr einer anderen Frau übertragen zu werden. Es handelt sich dabei um ein „künstliches Befruchten“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Die Befruchtung einer Eizelle ist nicht bereits mit dem Einbringen der Samenzelle erschöpft, sondern setzt sich über einen Zeitraum von bis zu 24 Stunden bis zur Entstehung eines Embryos fort. Jede Handlung, die die Entstehung eines Embryos künstlich fördert, stellt ein „Befruchten“ im Sinne der Strafnorm dar. Wird sie zu dem Zweck vorgenommen, die Schwangerschaft einer fremden Frau herbeizuführen, handelt es sich um eine strafbare Handlung, wohingegen die Übertragung eines bereits entstandenen Embryos nach der gesetzgeberischen Entscheidung straflos ist.

Der Senat gewinnt dieses Ergebnis durch eine Auslegung des Gesetzeswortlauts unter Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, der Gesetzessystematik und des Gesetzeszwecks sowie verfassungsrechtlicher Aspekte.

Soweit nach den Ausführungen des Landgerichts in 16 Fällen bereits zum Zeitpunkt des Auftauens Embryonen entwickelt waren, und dies den Angeklagten auch bewusst war, ist der Freispruch durch das BayObLG nicht beanstandet worden.

Soweit das Vorliegen von Embryonen in den weiteren 17 Fällen lediglich nicht auszuschließen war, die aufgetauten Zellen sich aber auch noch im Entwicklungsstadium von 2-PN-Zellen befunden haben können, wurde das Urteil aufgehoben und zur Klärung der Frage, welche Vorstellungen sich die Angeklagten vom Zustand der Zellen gemacht haben, an eine andere Kammer des Landgerichts Augsburg zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, weil insoweit eine von § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG umfasste Strafbarkeit wegen versuchten Missbrauchs von Fortpflanzungstechniken vorliegen kann. Weiterer Aufklärung bedürfen auch die Tatsachen, auf die das Landgericht das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums gestützt hat.

Vorinstanz:
Landgericht Augsburg, 16 Ns 202 Js 143548/14


Dr. Andrea Muthig
Richterin am Bayerischen Obersten Landesgericht
Pressesprecherin des Bayerischen Obersten Landesgerichts