Pressemitteilung vom 4. Februar 2021 Nr. 7/2021
Oberlandesgericht Nürnberg: keine grenzenlose Verkehrssicherungspflicht der Kommunen
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat - anders als noch das Landgericht Nürnberg-Fürth - entschieden, dass der Straßenbaulastträger seine Verkehrssicherungspflichten nicht verletzt, wenn er einen Gehweg mit einer zwischen Metallpfosten abgespannten, erkennbaren Kette von einer stark befahrenen Straße abtrennt.
Der damals 8-jährige Kläger war im Oktober 2016 mit seinem Vater auf dem Gehweg in der Willy-Brandt-Anlage zwischen der Hornschuchpromenade und der Königswarterstraße in Fürth unterwegs. Vor dem Straßenübergang zur Königswarterstraße blieb er stehen, entdeckte das Fahrzeug seines Vaters, welches auf einem Parkplatz unmittelbar gegenüber geparkt war, und rannte los. Der Kläger vergewisserte sich noch, dass kein Fahrzeug auf der Königswarterstraße unterwegs war. Er übersah jedoch eine Kette, welche entlang des Gehweges, auf dem er sich befand, gespannt war, und rannte gegen diese, wodurch er stürzte. Diese Kette hatte in etwa die gleiche Farbe wie der Straßenbelag. Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte Dämmerung. Der Kläger wurde durch den Sturz schwer verletzt und musste nahezu einen Monat im Klinikum behandelt werden. Insgesamt wurden bei ihm fünf Folgeoperationen durchgeführt, da er eine schwere Ohrverletzung erlitten hatte. Der Kläger leidet bis heute unter den Folgen des Unfalls und verlangt Schadensersatz von der Stadt Fürth.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hielt die Klage dem Grunde nach zum Teil für gerechtfertigt; der Kläger müsse sich aber ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen. Die Pressemitteilung zur damaligen Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist unter folgendem Link zu finden: Pressemitteilung 6/2020 - Bayerisches Staatsministerium der Justiz (bayern.de)
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat einen Ortstermin - bei dem die gleichen Lichtverhältnisse herrschten, wie zum Unfallzeitpunkt - durchgeführt und dabei festgestellt, dass die Kette zwischen den Metallpfosten in einer Höhe von 76 bis 93 cm durch-hängt. Die Kette dient der Absperrung des Fußweges zu einer stark befahrenen Straße und soll den Durchgang nur an besonders markierten Stellen ermöglichen. Sie sei 57 cm von der Bordsteinkante entfernt auf dem 2,20 m breiten Gehweg angebracht. Der Senat hat sich davon überzeugt, dass die Kette auch bei den zum Unfallzeitpunkt herrschenden Lichtverhältnissen und auch unter Berücksichtigung der Körpergröße des Kindes bei gebotener Aufmerksamkeit nicht zu übersehen ist.
Damit entfalle eine Haftung der Stadt Fürth. Zwar habe diese die Verkehrssicherungspflicht, diese sei aber nicht grenzenlos. Jeder Verkehrsteilnehmer müsse zunächst selbst die erforderliche Sorgfalt walten lassen, die Kommune müsse nur solche Gefahren ausräumen und gegebenenfalls vor ihnen warnen, die für hinreichend aufmerksame Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar seien. Nachdem die Kette aber für einen sich auf dem Gehweg mit Schrittgeschwindigkeit bewegenden Fußgänger, der den Blick nach vorn richtet, eindeutig erkennbar sei, habe die Stadt hier ihren Verkehrssicherungspflichten genügt. Zumal durch die deutlich markierten rot-weißen Metallpfosten und den an einigen Stellen abgesenkten Gehweg klar werde, an welchen Stellen man die Straße überqueren soll.
Es sei auch nicht erforderlich, dass die Kommune die Fußwege so ausleuchte, dass es keine dunklen Stellen, z. B. infolge geparkter Fahrzeuge, mehr gebe. Es sei Sache des Fußgängers, sich bei Dunkelheit so vorsichtig fortzubewegen, dass er eventuelle Hindernisse rechtzeitig erkennen könne. Bei schlechter Sicht müsse er seine Geschwindigkeit reduzieren.
Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10.12.2019, Az. 4 O 662/19
noch nicht rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18.11.2020, Az. 4 U 47/20
Friedrich Weitner
Richter am Oberlandesgericht
Justizpressesprecher