Pressemitteilung 08 vom 19.12.19
Anklageerhebung gegen Erfurter Sportarzt und seine vier Helfer wegen des Verdachtes des verbotenen Eigenblutdopings
Die Staatsanwaltschaft München I, bayernweite Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Doping, hat am 13.12.2019 Anklage gegen einen Erfurter Sportarzt und seine vier Helfer u.a. wegen gewerbsmäßiger und teilweise bandenmäßiger Anwendung verbotener Dopingmethoden bzw. der Beihilfe hierzu, gegen den Sportarzt darüber hinaus wegen des Verdachtes der gefährlichen Körperverletzung, erhoben. Zwei der fünf Angeschuldigten befinden sich seit ihrer Festnahme Ende Februar bzw. Mitte März in Untersuchungshaft, drei der Angeschuldigten wurden im Mai bzw. Juni 2019 aufgrund einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls aus der Haft entlassen.
Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von folgendem, vor Gericht noch zu beweisendem Tatverdacht aus: Der Angeschuldigte Dr. S. praktizierte seit spätestens Ende 2011 von Erfurt aus regelmäßig und in einer unbekannten Vielzahl von Fällen weltweit, überwiegend in Europa, vor allem in Deutschland und Österreich, insbesondere im Bereich des Rad- und Wintersports systematisches Blutdoping, um sich durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Hierbei führte der Angeschuldigte an mehreren Athleten/Athletinnen insbesondere der internationalen Wintersport- und Radsportszene zur Steigerung der sportlichen Ausdauer- und Leistungsfähigkeit die Entnahme, den Austausch, die Trennung und Behandlung, Lagerung und die Wiederzufuhr deren Blutes durch, und gab darüber hinaus weitere Arzneimittel, insbesondere Wachstumshormone mit dieser Zielsetzung an die Athleten/Athletinnen ab oder verordnete sie diesen missbräuchlich. Die Blutmanipulationen erfolgten anhand von ausgefeilten Behandlungsplänen mit der Folge, dass die bei den Athleten/Athletinnen durchgeführten Wettkampf- und Trainingskontrollen über einen langen Zeitraum ohne Nachweis einer verbotenen Substanz blieben. Dr. S. unterhielt mindestens ab dem Jahr 2014 einen wechselnden eingeweihten kleinen Kreis von Personen, die für ihn die im Rahmen des Eigenblutdoping erforderlichen Maßnahmen durchführten oder die Taten logistisch begleiteten, etwa indem sie Mitangeschuldigte fuhren oder das für die gemeinsamen Taten benötigte Equipment lagerten und transportierten.
Im September 2017 soll Dr. S. einer Sportlerin in deren Wohnung ein neuartiges Präparat, Erythrozyten in Form von trockenen Plättchen, verabreicht haben. Zu diesem Zeitpunkt soll er keine belastbaren Informationen über den Inhalt, die Zusammensetzung oder die Wirkungsweise des Präparates insbesondere im Hinblick auf etwaige Nebenwirkungen gehabt haben. Gegenüber der Sportlerin soll er wahrheitswidrig berichtet haben, dass das Präparat steril und bereits an mehreren Personen getestet worden sei und es zu keiner Gefährdung kommen könne. Tatsächlich sollen sich bei der Sportlerin durch die Zufuhr des Stoffes nach einer halben Stunde deutliche Nebenwirkungen eingestellt haben, die jedoch glücklicherweise keine bleibenden Schäden zur Folge hatten.
Ausgelöst wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I durch die Angaben des österreichischen Skilangläufers Johannes Dürr in der am 17.01.19 ausgestrahlten ARD-Sendung "Die Gier nach Gold - Der Weg in die Dopingfalle". Am 27.02.19 waren daraufhin abgestimmte Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaften München I und Innsbruck durchgeführt worden. Für das Münchener Verfahren wurden insgesamt fünf Personen festgenommen und elf Objekte in Erfurt und in Österreich, dort im Rahmen der Rechtshilfe, durchsucht. Die Angeschuldigten haben sich teilweise zu den Tatvorwürfen geäußert.
Die Verfahrensakten der Staatsanwaltschaft umfassen 54 Band. In der 145-seitigen Anklageschrift sind über 30 Zeugen, darunter zahlreiche betroffene Sportler sowie mehrere Gutachter und zahlreiche Urkunden als Beweismittel benannt. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und damit über eine mögliche Terminierung einer Hauptverhandlung hat das örtlich zuständige Landgericht München II bislang noch nicht entschieden.
Durch die Ermittlungen – die sich gegen insgesamt 50 Personen, Sportler, Ärzte, Betreuer sowie deren Helfer richteten - wurde bekannt, dass 23 Sportler aus acht europäischen Ländern Blutdoping an sich durchführen ließen. Doch erst mit Inkrafttreten des Antidopinggesetzes am 18. Dezember 2015 sind die Taten für Sportler in Deutschland strafbar. Die Ermittlungen gegen im Zusammenhang mit der Operation Aderlass bekannt gewordene Sportler werden – soweit sie sich gegen österreichische Staatsangehörige richten oder in Österreich veranstaltete Wettbewerbe betreffen - von der Staatsanwaltschaft Innsbruck geführt.
Allgemeiner Hinweis zum Zeitraum zwischen dem Datum der Anklageerhebung und der Veröffentlichung der Pressemitteilung: Nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 23 Abs. 2 RiStBV) darf eine Anklageerhebung der Presse erst dann bekannt gegeben werden, wenn die Anklageschrift einem Angeschuldigten bzw. dessen Verteidigung nachweislich zugegangen ist.
gez.
Leiding
Oberstaatsanwältin
Pressesprecherin