Pressemitteilung 92 vom 12.11.2018
Belehren ist riskant
Andere auf ihr regelwidriges Verhalten hinzuweisen setzt nicht selten eine unheilvolle Dynamik in Gang
Am 11.10.2018 verurteilte der zuständige Strafrichter am Amtsgericht München einen 45-jährigen ledigen Ingenieur aus Frankreich wegen Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung und Missbrauch von Titeln zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen (5 1/3 Monatsgehälter).
Am 29.09.2017 gegen 14.30 Uhr befand sich der Angeklagte zusammen mit dem Zeugen auf einem S-Bahnsteig des Ostbahnhofs in München. Dort missfiel dem Angeklagten offenbar, dass der Zeuge außerhalb des gekennzeichneten Raucherbereichs eine Zigarette rauchte. Der Angeklagte sprach den Zeugen, der über Kopfhörer Musik hörte, darauf an.
Der Angeklagte erklärte, dass ihn die Rauchschwaden, die vom Zeugen ausgegangen waren, gestört hätten. Er habe ihn aufgefordert, sich in den Raucherbereich zu begeben oder das Rauchen vollständig zu unterlassen. Der Geschädigte habe unhöflich reagiert, so dass er den Ohrstöpsel des Zeugen aus dessen Ohr gezogen habe. Er habe ihn nicht berührt und sich auch nicht als Diplomat ausgegeben, allenfalls einen Scherz in diese Richtung gemacht. Sein Ausweis sei später vom herbeigerufenen Polizisten aus reiner Schikane zerrissen und zu Boden geworfen worden.
Der Zeuge, ein zum Tatzeitpunkt in Freizeit befindlicher Polizeibeamter, gibt an, er habe sich in maximal fünf Meter Entfernung vom Raucherbereich befunden, dem Angeklagten entgegnet, sich auf dem leeren Bahnsteig doch woanders hinzustellen und alsdann sich seine Kopfhörer wieder ins Ohr gesteckt. Der Angeklagte habe nach dem Kabel des Ohrstöpsels gegriffen und ihn aus seiner Ohrmuschel gerissen, um ihn zu einem Gespräch zu zwingen. Nachdem sich der Zeuge gegen dieses Verhalten verwahrt habe, habe der Angeklagte ihn unvermittelt mit der flachen Hand auf die linke Backe geschlagen. Der Schlag habe zudem sein Kopfhörerkabel zerrissen. Als der Zeuge den Angeklagten mitgeteilt habe, sich in ihm den Falschen ausgesucht zu haben und dessen Ausweis verlangt habe, habe dieser gesagt, er sei Diplomat, der so etwas tun dürfe: Er genieße nämlich Immunität. Er habe einen Ausweis gezeigt, den ein Konsulat als eine Art Meldebescheinigung für im Ausland lebende französische Staatsangehörige ausgestellt hatte. Er sei dem Angeklagten in die S-Bahn gefolgt, bis die herbeigerufenen Kollegen die weitere Sachbearbeitung übernommen hätten. Er habe dann eilig seine Kinder abholen müssen.
Der herbeigerufene Polizeibeamte erklärte vor Gericht, dass der Angeklagte sehr aufbrausend aufgetreten sei. Besagter Ausweis sei im Geldbeutel gefunden und als Beweismittel einbehalten worden. Beweismittel würden nie zerrissen.
Die auf Verlangen des Richters herbeigeschaffte, in Plastik eingeschweißte Konsulatsbestätigung wurde in Augenschein genommen und zeigte keinerlei Beschädigungen.
Der Strafrichter hielt die Taten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für nachgewiesen. Er begründete das Strafmaß damit, dass zugunsten des Angeklagten, der anfangs das Recht ja durchaus auf seiner Seite hatte und sich von daher auch über die freilich zu erwartende Reaktion des Zeugen ärgern durfte, berücksichtigt werden müsse, dass es zu keinen erheblichen Verletzungen gekommen sei. Zu Lasten wertete er eine Vorstrafe des Angeklagten wegen Körperverletzung und den Umstand, dass der Angeklagte den Polizeibeamten wahrheitswidrig der Zerstörung von Ausweisdokumenten bezichtigt habe.
Urteil des Amtsgerichts München vom 11.10.2018, Aktenzeichen 844 Cs 246 Js 125131/18
Das Urteil ist aufgrund Berufung des Angeklagten nicht rechtskräftig.
Klaus-Peter Jüngst