Pressemitteilung 04 vom 06.08.24
Weitere Anklageerhebung gegen ehemalige Vorstände der Wirecard AG wegen Untreue (und Beihilfe zur Untreue)
Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Anklageschrift vom 31.07.24 Anklage gegen zwei weitere ehemalige Vorstände der Wirecard AG, gegen den Angeschuldigten von K. (Vorstand für Finanzen) und gegen die Angeschuldigte S. (Vorständin für Produktentwicklung) wegen des Verdachts mehrerer Fälle der Untreue, im Fall des von K. auch wegen Beihilfe zur Untreue erhoben.
Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von folgendem, vor Gericht noch zu beweisenden Sachverhalt aus:
Tatkomplex Ruprecht Security Deposit:
Im Dezember 2019, während der laufenden KPMG-Sonderuntersuchung, entschied der Vorstand der Wirecard AG, darunter die beiden Angeschuldigten, der Singapurer Firma Ruprecht Services Pte. Ltd., einer mittellosen und zwischenzeitlich insolventen „Briefkastengesellschaft“ aus dem Umfeld eines anderen Beschuldigten, über Tochtergesellschaften ein sogenanntes „Security Deposit“ ohne jegliche Sicherheiten in Höhe von insgesamt 40 Millionen Euro zu gewähren. Vorgeblich sollte die Ruprecht Services Pte. Ltd. als Ersatz für den TPA-Partner Al Alam Solution Provider FZ-LLC in Dubai einspringen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeschuldigten vor, dass ihr Vorgehen in Anbetracht der gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht mit den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns in Einklang zu bringen sei: Es wurde weder eine Absicherung des Wirecard-Konzerns noch eine Pflicht zur Anlage des Security Deposits als Kaution oder eine wie auch immer geartete Zweckbindung vereinbart, ebenso wenig konkrete Rückführungsmodalitäten oder ein Rückführungszeitpunkt. Zudem wurde der Aufsichtsrat der Wirecard AG weder vor noch nach der Entscheidung über die Gewährung des Deposits beteiligt, obwohl dies erforderlich gewesen wäre. Darüber hinaus lagen den Angeschuldigten weder Unternehmens- bzw. Finanzkennzahlen, noch überhaupt schriftliche Unterlagen vor, so dass keine Prognose bzw. Kalkulation möglich war, die Entscheidung vielmehr „ins Blaue hinein“ getroffen wurde. Bei der Erhöhung des Deposits von zunächst 10 auf insgesamt 40 Millionen Euro am späten Nachmittag des 23.12.19 fasste der Vorstand keinen förmlichen Beschluss. Es wurden auch keine Unterlagen beigezogen. Vielmehr stimmten die beiden Angeschuldigten dem per E-Mail übermittelten nichtssagenden Vorschlag des anderweitig Verfolgten Marsalek binnen einer halben Stunde ohne nähere Prüfung unmittelbar zu.
Tatkomplex Bürgschaft betreffend MCA-Darlehen:
Spätestens 2017 hatte der Vorstand der Wirecard AG - noch ohne Beteiligung der Angeschuldigten von K. und S. - entschieden, ein angeblich neues Geschäftsfeld zu eröffnen. Hierfür sollten über eine vordergründig von der Wirecard AG und den angeblichen bisherigen Partnern unabhängige Drittgesellschaft Kreditkartenzahlungen von Händlern „vorfinanziert“ werden. Statt wie sonst die Abwicklung der Zahlung durch die Kreditkartenunternehmen abwarten zu müssen, sollte der Händler so gegen Gebühr den Gegenwert der Kreditkartentransaktion sofort erhalten. Die Rückführung sollte aus den Settlement-Zahlungen durch die Kreditkartenunternehmen erfolgen. Diese Vorfinanzierung wurde zusammen mit einer weiteren Finanzierungsform, einer Art Betriebsmittelkredit auf Basis der abgewickelten Kartenzahlungen durch den Wirecard-Konzern einheitlich als MCA (Merchant Cash Advance) bezeichnet. Als angeblich neutrale Drittgesellschaft wurde die OCAP Management Pte Ltd. (OCAP) ausgewählt, die bis Ende 2017 in der Finanzierung von Öltransporten tätig war, also nichts mit Kreditkartenzahlungen zu tun hatte und zum Firmengeflecht eines anderen Beschuldigten gehörte. Die Firma wurde erst Ende 2017 nach mehreren formalen Eigentümerwechseln über Briefkastengesellschaften in OCAP umbenannt und stellte Ende 2017 einen ersten Kreditantrag für MCA-Finanzierungen bei der Wirecard Bank. Tatsächlich war OCAP weder geeignet noch in der Lage, MCA-Geschäfte durchzuführen. Der Kreditantrag wurde durch einen Vorstand der Wirecard Bank AG zunächst abgelehnt, da das für die Wirecard Bank entstehende Risiko zu hoch gewesen wäre, unter anderem da keine Sicherheiten gestellt werden konnten. Hier schaltete sich der anderweitig Verfolgte CEO Dr. Braun persönlich ein und setzte den ablehnenden Vorstand der Wirecard Bank unter Druck. Um die Darlehensgewährung zu ermöglichen, beschloss der damalige Vorstand der Wirecard AG in Kenntnis der Risiken und ohne weitere Prüfung unter Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht die Gewährung einer Bürgschaft als Sicherheit für das Darlehen.
Der Angeschuldigte von K., der damals noch nicht Vorstand der Wirecard AG, aber Vorstand der Wirecard Bank war, unterstützte dieses Vorgehen, indem er seinerseits die Kreditgewährung befürwortete und auf den ablehnenden Vorstand der Wirecard Bank einzuwirken suchte (Beihilfe zur Untreue). Der Kredit wurde schließlich nur aufgrund der Bürgschaftsübernahme durch die Wirecard AG gewährt, wobei diese nach einer viermonatigen Übergangszeit durch von OCAP selbst gestellte Sicherheiten ersetzt werden sollte. Das Darlehen wurde in Höhe von 10 Millionen Euro ausbezahlt, das so erhaltene Geld von OCAP jedoch nicht an Händler weitergeleitet.
Zum Fälligkeitszeitpunkt des Darlehens am 31.12.18 war OCAP zu einer Tilgung nicht in der Lage, den überfälligen Sicherheitentausch nahm OCAP nicht vor. Obwohl insofern bereits erhebliche Unregelmäßigkeiten aufgetreten waren, stimmten die beiden Angeschuldigten von K. und S. zusammen mit den übrigen Vorstandsmitgliedern der Wirecard AG im April 2019 der rückwirkenden Verlängerung des Darlehens durch die Wirecard Bank und der Neuerteilung der Bürgschaft zu. Die beiden Angeschuldigten wussten dabei, dass ihnen keine belegten Erkenntnisse zum Geschäftsbetrieb, insbesondere dem bisherigen Ablauf des angeblichen MCA-Geschäftes, der finanziellen Situation und der tatsächlichen Gesellschaftsstruktur von OCAP vorlagen. Sie entschieden unter Verstoß gegen ihre Vermögensbetreuungspflicht auf unbelegte und inkonsistente mündliche Angaben hin „ins Blaue hinein“.
Tatkomplex MCA-Darlehen März 2020:
Aus weiteren Darlehen einer Wirecard-Tochtergesellschaft im September und November 2018 an die OCAP in Höhe von 115 Millionen Euro waren bis Herbst 2019 erhebliche Zinsrückstände aufgelaufen und eine Rückzahlung der offenen Forderungen aus den Darlehen nicht absehbar. Von den Darlehensgewährungen aus dem Herbst 2018, an denen die beiden Angeschuldigten entgegen den Geschäftsordnungen für Vorstand und Aufsichtsrat der Wirecard AG nicht mitgewirkt hatten, erhielten die Angeschuldigten aufgrund notwendiger Mitwirkung an späteren Vorstandsbeschlüssen im Herbst des Jahres 2019 Kenntnis. Sie wussten auch um die Zinsrückstände.
Am 25.03.2020 fasste der Vorstand der Wirecard AG unter Mitwirkung der beiden Angeschuldigten, jedoch ohne Beteiligung des Aufsichtsrates, den Beschluss, weitere 100 Millionen Euro Darlehen an OCAP zu gewähren. Die Mitwirkung der Angeschuldigten an diesem Beschluss war in Anbetracht der gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht mit den Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns in Einklang zu bringen: Zu diesem Zeitpunkt waren seitens Wirecard bereits Finanzmittel in Höhe von ca. 137 Millionen Euro an OCAP ausgereicht, ohne dass OCAP in der Lage gewesen wäre, allen Darlehensverpflichtungen nachzukommen. Tatsächlich bezahlte OCAP im Stile eines „Ponzi-Systems“ Darlehensschulden mit den Geldern aus neuen Krediten. Zudem waren weder konkrete Geschäftstätigkeit und -modell der OCAP noch deren finanzielle Bonität überprüft. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt angespannten Liquiditätslage des Wirecard-Konzerns stellte sich die Entscheidung für ein weiteres Darlehen, insbesondere in dieser Größenordnung, als unvertretbar dar.Die beiden Angeschuldigten erkannten, dass die Darlehensgewährung in Zusammenhang mit dem angeblichen MCA-Geschäft stand und zur Vorfinanzierung von Händlern der Ruprecht Services Pte. Ltd. dienen sollte, dem erst im Dezember 2019 neu eingeführten TPA-Partner.
Die Auszahlung des Darlehens von 100 Millionen Euro auf ein Konto von OCAP bei der Wirecard Bank AG erfolgte am 27.03.20. Innerhalb kürzester Zeit, noch am gleichen Tag, wurde die gesamte Summe auf ein Konto von Ruprecht Services Pte. Ltd. in Litauen transferiert. Ein Teil der Summe in Höhe von 35 Millionen Euro wurde von dort über verschiedene Zwischenstationen an den anderweitig Verfolgten CEO Dr. Braun weitergeleitet, der damit ein privates Darlehen bei der Wirecard Bank zurückführte. Der Rest versickerte im System von Briefkastengesellschaften eines anderen Beschuldigten und wurde dort u.a. dazu verwendet, Darlehensverbindlichkeiten bei der Wirecard Bank AG zu tilgen. Für die Vorfinanzierung von Händlern wurden die Gelder nicht verwendet. Mit einer Rückführung der ausgereichten Mittel ist nicht zu rechnen, da OCAP sich mittellos in der Insolvenz befindet.
Im Zusammenhang mit diesen drei Tatkomplexen verletzten die beiden Angeschuldigten jeweils in evidenter und gravierender Weise ihre Verpflichtungen gegenüber der Wirecard AG. Ihnen werden deshalb drei Fälle der Untreue zur Last gelegt, durch die jeweils ein Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt wurde.
Der Angeschuldigte von K. leistete darüber hinaus bezogen auf die Bürgschaft betreffend das MCA-Darlehen aus dem Jahr 2017 in einem weiteren Fall Beihilfe zur Untreue.
Durch all diese Untreuehandlungen entstand der Wirecard AG ein Schaden von mehreren hundert Millionen Euro.
Die Anklage geht aus den seit 2020 geführten umfassenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Sachen Wirecard hervor, bei der ein Team aus mehreren Staatsanwälten zusammen mit einer Sonderkommission der Polizei umfangreiche und komplexe Ermittlungen durchführt. Mit der vorliegenden Anklage konnte nunmehr ein weiterer wesentlicher Teilaspekt dieser Ermittlungen abgeschlossen werden.
Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und damit über eine mögliche Terminierung der Hauptverhandlung wird die zuständige 12. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I entscheiden.
gez.Leiding
Oberstaatsanwältin
Pressesprecherin