"Teen Court"-Projekte in Bayern
Schüler "urteilen" über Schüler - ein neuer Weg im Umgang mit Jugendkriminalität
In Anlehnung an US-amerikanische "Teen Courts" wurden in Aschaffenburg,
Ingolstadt, Ansbach, Memmingen, Augsburg, Landshut, Dillingen, Neu-Ulm, Passau, Regensburg, Deggendorf, München, Bamberg und Coburg Schülergremien eingerichtet, die sich im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit Straftaten Jugendlicher befassen. Die Schülerinnen und Schüler sprechen mit dem jugendlichen Straftäter über dessen Tat, vereinbaren u. U. eine erzieherische Maßnahme und überwachen ggf. deren Erfüllung.
Das Ergebnis des "Verfahrens" vor dem "Schülergericht" wird anschließend
von der Staatsanwaltschaft bei ihrer abschließenden Entscheidung
berücksichtigt.
Worin liegt der Sinn der "Schülergerichte"?
Jugendlichen ist die Meinung Gleichaltriger oft besonders wichtig. Missbilligende Reaktionen von Altersgenossen erscheinen daher gut geeignet, jugendliche Täter vom Unrecht ihrer Straftat zu überzeugen und sie zum Umdenken zu bewegen. Auch finden Gleichaltrige oft leichter als Erwachsene Zugang zu jugendlichen Beschuldigten und können so Hintergründe und Motive einer Tat ergründen.
Darüber hinaus können auch die mitwirkenden "Schülerrichter" wertvolle Erfahrungen sammeln: Bei der Vorbereitung auf ihre Tätigkeit und der praktischen Projektarbeit erfahren sie viel über die sozialen Verhältnisse und Probleme jugendlicher Straftäter, sie lernen wichtige Bereiche des Jugendstrafrechts aus eigener Anschauung kennen und übernehmen Verantwortung für junge Menschen und die Durchsetzung der Rechtsordnung.
Wer sind die "Schülerrichter"?
Die beteiligten Schülerinnen und Schüler gehören Gymnasien, Realschulen, Hauptschulen, Fachoberschulen und Berufsschulen an und sind zwischen 14 und 20 Jahre alt. Sie wirken freiwillig und unentgeltlich in ihrer Freizeit an dem Projekt mit. Die Auswahl unter den Interessenten wird i.d.R. von den beteiligten Schulen getroffen. Die Schülerinnen und Schüler werden durch spezielle Schulungen auf ihre Tätigkeit vorbereitet.
Sind die "Schülerrichter" tatsächlich Richter?
Natürlich nicht! Die mitwirkenden Schülerinnen und Schüler haben keine richterlichen Kompetenzen.
Das heißt: Sie können kein Urteil verkünden, keine Jugendstrafe oder richterliche Sanktion festsetzen und keine Strafe vollstrecken.
Sie können aber eine "erzieherische Maßnahme" der "Wiedergutmachung" vorschlagen. Kommt der Beschuldigte dieser nach, wird dies von der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten berücksichtigt. So kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach § 45 Absatz 2 Jugendgerichtsgesetz einstellen, wenn eine erzieherische Maßnahme durchgeführt oder eingeleitet ist und sie weder eine Beteiligung des Gerichts noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Die Entscheidung des Schülergremiums und die Reaktion des Beschuldigten spielen daher für das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eine zentrale Rolle.
Wichtig:
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bleibt stets in der Hand der Staatsanwaltschaft. Nur diese kann entscheiden, ob von einer Strafverfolgung abgesehen wird oder nicht.
Welche Fälle kommen vor das Schülergremium?
Damit ein Fall vor dem Schülergremium "verhandelt" werden kann, müssen grundsätzlich folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Der Täter ist meist im Alter von 14 bis 18 Jahren, höchstens jedoch 20 Jahre alt
- bei der Tat handelt es sich um einen Fall leichter bis mittelschwerer Kriminalität
- der Täter ist geständig und der Sachverhalt vollständig geklärt
- und der Täter und ggf. seine Erziehungsberechtigten sind mit der Behandlung des Falles durch das "Schülergericht" einverstanden.
Wichtig:
Die Mitwirkung des beschuldigten Jugendlichen ist stets freiwillig. Dies gilt auch für die Erfüllung vereinbarter Maßnahmen.
Zumeist trifft bereits die Polizei eine Vorauswahl der Fälle, die ihrer Einschätzung nach für das Verfahren in Betracht kommen. Sie klärt den jugendlichen Täter und die Erziehungsberechtigten über das Verfahren auf und holt deren schriftliches Einverständnis mit der Teilnahme ein. Die Staatsanwaltschaft entscheidet anschließend darüber, ob sie den Fall für geeignet hält. Ist dies der Fall, übermittelt sie dem "Schülergericht" die Informationen, die zur Durchführung des Gesprächstermins erforderlich sind.
Wie läuft das Verfahren vor dem Schülergremium ab?
Für jeden einzelnen Fall wird aus den am Projekt mitwirkenden Schülerinnen und Schülern ein Dreier-Team gebildet. Zunächst führt ein einzelnes Mitglied dieses Gremiums ein Vorgespräch mit dem jungen Beschuldigten. Dabei geht es in erster Linie darum, ihn über den Ablauf des Verfahrens, die Schweigepflicht des Gremiums und dessen Zusammensetzung zu informieren. Ferner wird er nochmals darauf hingewiesen, dass das Verfahren für ihn freiwillig ist.
Die eigentliche Gremiumssitzung findet an einem "runden Tisch" statt und dauert regelmäßig zwischen 30 und 90 Minuten. Das Gespräch dreht sich in der Regel vorrangig um die Motive und Folgen der Tat. Im Unterschied zum US-amerikanischen Vorbild wird auf einen förmlichen Gerichtscharakter der Sitzung bewusst verzichtet. So gibt es anders als in den USA auch keinen "Schüler-Staatsanwalt".
Das Ergebnis der Sitzung wird schriftlich festgehalten. Danach überwachen die Schülergremien, ob der Beschuldigte die vereinbarte Maßnahme auch erfüllt. Schließlich leiten sie den Vorgang an die Staatsanwaltschaft zurück.
Welche "Maßnahmen" kommen in Betracht?
Bei der Festsetzung der "erzieherischen Maßnahmen" gehen die Schülergremien sehr kreativ und individuell vor. Oft werden Reaktionen vereinbart, die einen engen Bezug zur Tat aufweisen. In Betracht kommen beispielsweise:
- (tätige) Entschuldigung beim Geschädigten
- verschiedenste Formen der "Wiedergutmachung"
- schriftliche Reflexion über das eigene Verhalten
- Teilnahme am Verkehrsunterricht
- gemeinnützige Arbeiten geringeren Umfangs sowie
- Zahlung kleinerer Geldbeträge an gemeinnützige Einrichtungen.
Mitunter kann schon das Gespräch eine ausreichende erzieherische Wirkung haben, so dass weitere Maßnahmen entbehrlich sind.
Sind die Schülergremien völlig auf sich gestellt?
Nein. Jedes der Projekte wird durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von freien Trägern der Jugendhilfe sozialpädagogisch betreut. Diese bereiten die mitwirkenden Schülerinnen und Schüler durch spezielle Schulungen auf ihre Tätigkeit vor, unterstützen sie bei der Vorbereitung der einzelnen Gremiumssitzungen und koordinieren den Ablauf des Verfahrens. Bei den eigentlichen Sitzungen des Schülergremiums bleiben sie jedoch regelmäßig im Hintergrund.
Wo und seit wann gibt es die Projekte?
Durchgeführt werden die Projekte jeweils unter Federführung der zuständigen Staatsanwaltschaft
- in Aschaffenburg seit November 2000 unter Mitwirkung des Vereins „Hilfe zur Selbsthilfe“
- in Ingolstadt seit Januar 2003 unter Mitwirkung des Vereins „Jugendhilfe Region 10“
- in Ansbach seit April 2003 unter Mitwirkung der "Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Kastanienhof"
- in Memmingen seit März 2005 unter Mitwirkung des "SKM Katholischer Verein für soziale Dienste Memmingen und Unterallgäu e.V."
- in Augsburg seit September 2008 unter Mitwirkung des Vereins "BRÜCKE e.V. Augsburg"
- in Landshut seit Oktober 2010 unter Mitwirkung des "Katholischen Jugendsozialwerks München e.V."
- in Dillingen seit Januar 2013 unter Mitwirkung des Kreisjugendamts Dillingen
- in Neu-Ulm seit September 2013 unter Mitwirkung des "SKM Katholischer Verein für soziale Dienste Memmingen und Unterallgäu e.V."
- in Passau seit Oktober 2017 unter Mitwirkung der "Brücke Passau"
- in Regensburg seit Juni 2019 unter Mitwirkung der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Regensburg e.V.
- in Deggendorf seit April 2020 unter Mitwirkung des Caritasverbandes für den Landkreis Deggendorf e. V.
- in München seit Oktober 2020 unter Mitwirkung des Vereins "Brücke MÜNCHEN e.V."
- In Coburg seit September 2023 unter Mitwirkung des Caritasverbands für den Landkreis Lichtenfels e.V.
-
In Bamberg seit Oktober 2023 unter Mitwirkung des Vereins für
Jugendhilfe e.V. Bamberg
In jedem der Projekte wird mit mehreren Schulen zusammengearbeitet.
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Wichtige Gesetze auf einen Blick
... dass die Justizministerkonferenz eine ständige Einrichtung ist, die die Justizpolitik der Bundesländer koordiniert? Es gibt jedes Jahr eine Frühjahrs- und eine Herbstkonferenz.