Amtsgericht Neu-Ulm
31.07.2024

Künstliche Intelligenz im Einsatz für die Justiz / Start für gemeinsames Forschungsprojekt von Bayern und NRW / Generatives Sprachmodell soll Richterinnen und Richter entlasten / Wissenschaftliche Begleitung durch die TU München und die Universität zu Köln

Start für ein spannendes Forschungsprojekt der Justiz: Bayern und Nordrhein-Westfalen (NRW) trainieren und erproben seit dieser Woche gemeinsam ein generatives Sprachmodell speziell für die Bedürfnisse der Justiz. Die Vereinbarung zwischen den Ländern und den beteiligten Universitäten wurde in dieser Woche unterzeichnet. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: "Durch die rasante Entwicklung im Bereich generativer KI stehen wir am Beginn eines neuen Zeitalters. Das führt zu großen Chancen, aber auch zu großen Herausforderungen. Die Potentiale von KI und Legal Tech wollen wir in der Justiz nutzen, um unsere durch Massenverfahren und neue Kriminalitätsphänomene stark geforderten Gerichte zu entlasten. Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit NRW wertvolle Erkenntnisse gewinnen können."

Dr. Daniela Brückner, Staatsekretärin im Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen: "Mit dem Forschungsprojekt GSJ leisten NRW und Bayern einen Beitrag zur Modernisierung der Justiz und zur Wahrung der digitalen Souveränität Deutschlands. Damit gestalten wir aktiv mit, wie ein Large Language Model für die Justiz in Zukunft aussehen und für welche Zwecke es eingesetzt werden kann."

Das Generative Sprachmodell der Justiz (GSJ) könnte beispielsweise dafür eingesetzt werden, neue Text-Bausteine zu formulieren, unstreitige Sachverhalte aus einer Akte herauszufiltern und Schriftsätze aus verschiedenen Akten zu vergleichen. Die Anwendungsfälle werden unmittelbar mit Praktikerinnen und Praktikern in Legal Design-Workshops entwickelt. Die Testphase dauert bis Ende 2026 und wird aus Mitteln der Digitalisierungsinitiative des Bundes für die Justiz finanziert.

Auf wissenschaftlicher Ebene wird das Projekt von der Technischen Universität München unter der Leitung des Legal-Tech-Experten Prof. Dr. Matthias Grabmair und der Universität zu Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Europäische Privatrechtsentwicklung, begleitet.

Eisenreich: "Juristinnen und Juristen arbeiten viel mit Sprache, deshalb berührt generative KI die juristische Welt in besonderer Weise. Künstliche Intelligenz kann immer nur ein Hilfsmittel sein. Mir ist wichtig, dass auch in Zukunft Richterinnen und Richter die Urteile fällen."

Brückner: "Das Projekt ist Teil eines Zukunftsbildes, den Zugang zum Recht zu vereinfachen, die Entwicklung von Textanalyse-Komponenten in Fachanwendungen zu fördern und Gerichte durch die Unterstützung in der alltäglichen Arbeit, insbesondere in Massenverfahren und Umfangsverfahren, zu entlasten."

  

Hintergrund zur Digitaloffensive der bayerischen Justiz:

  • Elektronischer Rechtsverkehr: Der elektronische Rechtsverkehr ist bei allen bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeführt.

  • Videoverhandlungen: Seit Juli 2021 haben alle 99 ordentlichen Gerichte in Bayern Zugang zu einer Videokonferenzanlage. Daneben setzt die Justiz auf ein Videokonferenz-Tool, das bayernweit freigegeben wurde. Allein im Jahr 2023 gab es rund 13.000 Videoverhandlungen und -anhörungen im Freistaat.

  • Einführung der E-Akte: Bis 1. Januar 2026 muss die elektronische Akte deutschlandweit eingeführt sein. In Bayern müssen 127 Standorte mit etwa 15.000 Arbeitsplätzen mit der E-Akte ausgestattet werden. Die Regeleinführung der E-Akte an allen bayerischen Gerichten in Zivil-, Familien- und Immobiliarvollstreckungs- sowie Betreuungs-, Grundbuch- und Insolvenzsachen ist abgeschlossen. Geplant ist, die Regeleinführung in Nachlass- und Strafsachen im Herbst 2024 zu beginnen.

  • Start-up-Gründung: Auf Initiative des Justizministers hat die bayerische Justiz 2022 gemeinsam mit dem Innovations- und Gründungszentrum UnternehmerTUM das "Legal Tech Colab" ins Leben gerufen – einen Inkubator und Accelerator für Start-ups im Legal-Tech-Bereich (Pressemitteilung hier abrufbar).

  • Neue Digitalabteilung im Justizministerium: Justizminister Eisenreich hat zum 1. April 2023 eine neue Abteilung "Digitalisierung und Innovation" eingerichtet (Pressemitteilung hier abrufbar). Zudem wurde im Juli 2023 ein neues Referat für Legal Tech und Künstliche Intelligenz geschaffen.

  • Interdisziplinäre Vernetzung und Austausch: Im März 2018 wurde die "Denkfabrik Legal Tech" gegründet, die über 600 Juristinnen und Juristen sowie IT-Expertinnen und -Experten aus Justiz, Wirtschaft, Anwaltschaft und Forschung vernetzt. Ziel ist es, die Kenntnisse über Einsatzmöglichkeiten moderner Legal-IT-Tools zu vertiefen.

  • Neues Berufsfeld für Referendarinnen und Referendare: Seit Juli 2023 können Referendarinnen und Referendare in Bayern das neue Berufsfeld "IT-Recht und Legal Tech" wählen (Pressemitteilung hier abrufbar).

  • Beteiligung an der Fortentwicklung innovativer Ermittlungswerkzeuge: Die bayerische Justiz beteiligte sich gemeinsam mit Spitzenforschern aus den Niederlanden an der Fortentwicklung des "Dark Web Monitor" – einer Art Suchmaschine für das Darknet. Im Juni 2022 stiegen auch Wiener Blockchain-Spezialisten in das Projekt ein: Mit dem Analyse-Tool GraphSense können die Ermittler besser der Spur des Geldes folgen, wenn z. B. für Kinderpornografie mit Bitcoins bezahlt wird. Zudem ist die bayerische Justiz mit österreichischen Spitzenforschern seit August 2023 dabei, den Fake-Shop-Detector auf die besonderen Anforderungen der Strafverfolgungsbehörden zuzuschneiden und weiterzuentwickeln (Pressemitteilung hier abrufbar). Seit diesem Sommer pilotiert die Justiz gemeinsam mit der niederländischen Forschungsgesellschaft TNO den "Big Phish", ein Tool das frühzeitig Phishing-Domains im Internet aufspüren soll (Pressemitteilung hier abrufbar).

  • Automatisierte Anonymisierung von Urteilen: Ziel eines vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz unterstützten und inzwischen erfolgreich abgeschlossenen Forschungsprojekts mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg war es, in Zukunft in geeigneten Fachbereichen eine größere Anzahl von Urteilen veröffentlichen zu können.

  • Software zur juristischen Aktenstrukturierung: Das Bayerische Justizministerium hat zudem bereits die Entwicklung einer Software zur juristischen Aktenstrukturierung in Auftrag gegeben und erfolgreich ausgeschrieben. Die Software wird Entscheiderinnen und Entscheidern als Hilfsmittel bei der juristischen Fallbearbeitung dienen. Die Software wird voraussichtlich noch in diesem Jahr zur Verfügung stehen.

  • Erprobung innovativer Legal Tech-Anwendungen zur Unterstützung von Richterinnen und Richtern bei Massenverfahren: Richterinnen und Richter bei den Landgerichten München I und Ingolstadt haben eine Anwendung zur Unterstützung in erstinstanzlichen Dieselverfahren getestet. Bei dem Amtsgericht Erding wird gegenwärtig eine Software zur Unterstützung in Fluggastrechteverfahren getestet. Bei dem Oberlandesgericht München soll demnächst die Erprobung einer Software zur Unterstützung in zweitinstanzlichen Dieselverfahren beginnen.

  • Reallabor Basisdokument: Bayern und Niedersachsen haben in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit der Universität Regensburg eine Anwendung zur digitalen Aufbereitung des Parteivortrags entwickelt und an mehreren Landgerichten erfolgreich erprobt. In dem Basisdokument wird der gesamte Streitstoff übersichtlich und stets aktuell abgebildet.

  • Automatisierte Textanalyse: Bis Ende September 2023 wurde am Landgericht Ingolstadt der Einsatz eines automatisierten Textanalysetools evaluiert. Die Pilotierung zeigte vielversprechende Ergebnisse. Ein Textanalysetool könnte insbesondere für die Serviceeinheiten eine spürbare Entlastung bringen. Aufgrund der vielversprechenden Pilotierungsergebnisse wird derzeit die Durchführung eines Vergabeverfahrens zur Beschaffung im Rahmen einer länderübergreifenden Kooperation vorbereitet.

  • Bayerns Justizminister Georg Eisenreich hat zudem zahlreiche rechtspolitische Initiativen auf den Weg gebracht. So wurde beispielsweise im Jahr 2022 auf Initiative von Staatsminister Georg Eisenreich der Digitalgipfel des Bundes und der Länder eingerichtet: Beim dritten Digitalgipfel von Bund und Ländern, der im Vorfeld der Justizministerkonferenz im Herbst 2023 stattfand, haben Bund und Länder auf bayerische Initiative beschlossen, eine von Bund und Ländern gemeinsam besetzte Reformkommission einzusetzen. Die Reformkommission wird unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern der Richterschaft, der Anwaltschaft, der Wissenschaft, der Verbraucher, der Wirtschaft und des Legal Tech Verbandes sowie des EDV-Gerichtstages Vorschläge für den Zivilprozess der Zukunft erarbeiten. Die Kommission hat ihre Arbeit am 1. Juli 2024 aufgenommen.

Dauerausstellung Weiße Rose Saal

Ihren Mut zur Freiheit haben die Geschwister Scholl und vier ihrer Freunde mit dem Leben bezahlt. Wohin es führen kann, wenn die Dritte Gewalt im Staate ihre Unabhängigkeit verliert, zeigt die Dauerausstellung Willkür "Im Namen des Deutschen Volkes".


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Wussten Sie eigentlich …?

… dass die Fachgerichtsbarkeiten, d.h. die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte in Bayern nicht zum Justizressort, sondern zum Geschäftsbereich der jeweiligen Fachministerien gehören?