Bayerische Justiz schärft historisches Bewusstsein für NS-Unrecht / Neue Fortbildungsreihe "Juristen im Nationalsozialismus" für Referendarinnen und Referendare / Bayerns Justizminister Eisenreich: "Mir ist es persönlich wichtig, dass wir die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Justizgeschichte wachhalten."
In Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts wurde führenden Mitgliedern des NS-Regimes wie Hermann Göring oder Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß der Prozess gemacht. Mit einer neuen Fortbildungsreihe schärft die bayerische Justiz an diesem bedeutsamen Ort das historische Bewusstsein ihrer Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich: "Der historische Saal 600 mahnt uns alle, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat nicht selbstverständlich sind, sondern Tag für Tag verteidigt werden müssen. Mir ist es persönlich wichtig, dass wir die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Justizgeschichte wachhalten. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist gerade in diesen Tagen, in denen wir die schlimmste Antisemitismus-Welle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erleben, besonders bedeutsam."
Nach einem erfolgreich abgeschlossenen Pilotprojekt bietet das Justizministerium in Zusammenarbeit mit der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, dem Memorium Nürnberger Prozesse und dem Oberlandesgericht Nürnberg freiwillige Fortbildungsveranstaltungen für Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare zum Thema "Juristen im Nationalsozialismus" an. Die Veranstaltungen finden im Memorium Nürnberger Prozesse und in der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien statt. Sie dienen der Vermittlung von Kenntnissen über die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, den nationalsozialistischen Justizterror und deren Aufarbeitung.
Eisenreich bedankte sich bei Prof. Dr. Christoph Safferling, dem Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien: "Mit Ihrem Blick in die Geschichte zeigen Sie Referendarinnen und Referendaren, wohin es führt, wenn Unrecht an die Stelle des Rechts tritt. Sie sensibilisieren angehende Juristinnen und Juristen für die Gefahren, denen der Rechtsstaat und die Demokratie ausgesetzt sind. Für Ihr großes persönliches Engagement möchte ich Ihnen herzlich danken."
Hintergrund:
Die bayerische Justiz schärft das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht mit einem Bündel an Maßnahmen. Einige Beispiele:
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Juristenausbildung: In der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) wurde ausdrücklich klargestellt, dass das rechtswissenschaftliche Studium und die Erste Juristische Staatsprüfung auch die ethischen Grundlagen des Rechts berücksichtigen.
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Aufarbeitung: Das Institut für Zeitgeschichte hat zudem im Auftrag von Justizminister Eisenreich die NS-Vergangenheit der Juristen und Namensgeber juristischer Standardwerke Otto Palandt und Heinrich Schönfelder untersucht und klare Belege für eine nationalsozialistische Gesinnung gefunden. Die Studie wurde im Juni 2023 vorgestellt. Eisenreich: "Namensgeber für Gesetzessammlungen und Kommentare müssen integre Persönlichkeiten sein. Palandt und Schönfelder waren Nationalsozialisten und haben die Pervertierung des Rechtsstaats in der NS-Zeit unterstützt und vorangetrieben. Deshalb war die Umbenennung der beiden juristischen Standardwerke richtig und notwendig."
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Faces for the names: Lichtdenkmale für die Opfer des NS-Terrors wurden zunächst im Februar 2021 auf die Anstaltsmauer von Stadelheim projiziert. Ein Projekt des Vereins J.E.W.S. "Jews Engaged With Society e.V." mit dem Vorstandsvorsitzenden Terry Swartzberg. Im März 2023 wurden diese auch auf der Fassade des Münchner Justizpalasts gezeigt. Münchner Schulen haben gemeinsam mit dem Verein J.E.W.S die Biografien von Widerstandskämpfern in dem Projekt "Faces for the names" aufgearbeitet und im Juli 2023 im Justizpalast präsentiert. Am 24. April 2024 gab es zudem ein Lichtdenkmal am Justizpalst für 18 Frauen im Widerstand.
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Projekt des Zentralen Antisemitismusbeauftragten zum Gedenken an jüdische Justizbeamte: In allen drei Oberlandesgerichtsbezirken sollen Ausbildungsräume nach jüdischen Justizbediensteten umbenannt werden, die im Nationalsozialismus entrechtet, verfolgt oder sogar ermordet wurden.
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Neugestaltung der Weiße-Rose-Ausstellung im Münchner Justizpalast. Die Dauerausstellung "Willkür im Namen des Deutschen Volkes" führt die Zerstörung des Rechtsstaats durch die Nationalsozialisten plastisch vor Augen. Im Zentrum steht der Raum 253, der Sitzungssaal, in dem am 19. April 1943 der zweite Prozess des Volksgerichtshofs gegen 14 Angeklagte der "Weißen Rose" stattfand.
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"Protokoll eines Justizversagens – 100 Jahre Hitler-Prozess": Eisenreich eröffnete die Ausstellung mit dem Kabarettisten Christian Springer und seiner Initiative Schulterschluss im Mai 2024. Sie erinnert an das historische Fehlurteil gegen Hitler vor 100 Jahren. Adolf Hitler war am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller (heute: Gasteig) auf einen Stuhl gestiegen, hatte einen Pistolenschuss in die Decke gefeuert und die bayerische Regierung sowie die Reichsregierung für abgesetzt erklärt. Der Putsch scheiterte. Im folgenden Hochverratsprozess vor dem Bayerischen Volksgericht in München kam Hitler mit einem milden Urteil davon.
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Justizminister Eisenreich hat am 12. September 2024 die Ausstellung "Auf derselben Seite – Die Letzten der 'Gerechten unter den Völkern'" im Justizpalast München eröffnet. Die Künstler, die Münchnerin Lydia Bergida und der Berliner Marco Limberg, porträtieren in ihren fotografischen Erzählungen einige der letzten lebenden "Gerechten unter den Völkern". Der Ehrentitel wird von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an nicht-jüdische Menschen verliehen, die während der NS-Zeit Jüdinnen und Juden gerettet haben.
Ihren Mut zur Freiheit haben die Geschwister Scholl und vier ihrer Freunde mit dem Leben bezahlt. Wohin es führen kann, wenn die Dritte Gewalt im Staate ihre Unabhängigkeit verliert, zeigt die Dauerausstellung Willkür "Im Namen des Deutschen Volkes".
Weitere Infos finden Sie hier
… dass die Fachgerichtsbarkeiten, d.h. die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte in Bayern nicht zum Justizressort, sondern zum Geschäftsbereich der jeweiligen Fachministerien gehören?